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Prolog

Nach unserem Annapurna-Trek im Jahr 2007 hatte ich schnell die Idee im Kopf, dass ich als nächstes wieder höher hinaus muss. Wieder nach Nepal zu fahren war zwar eine reizvolle Idee, diese wollte ich mir aber aufheben für eine Expedition, die mich vielleicht auf einen der 14 bringen könnte. Nach Afrika und Asien war es daher natürlich nahe liegend, dass ich es in Amerika probieren könnte.

In Südamerika boten sich bekannte, "mittlere" 6 000er wie Chimborazo und Cotopaxi an. Der sehr hohe Ojos de Salado (er galt lange Zeit als der höchste Berg Amerikas) ist leider schon früh ausgefallen, da man immer wieder Berichte liest, wie Touristen mit Jeeps bis auf über 6 000 m gebracht werden, und die dann die letzten paar Höhenmeter, die zu Fuß zurückgelegt werden müssen, massive Probleme haben, da sie natürlich in keiner Weise akklimatisiert sind. Solche Anblicke wollte ich mir ersparen... aber sicher schade um einen schönen Berg.

Im Lauf der Überlegungen haben sich meine Gedanken aber immer mehr zu einem zugespitzt: wenn ich schon in Südamerika bin, könnte ich natürlich auch gut probieren, ob nicht gleich der höchste Berg des Kontinents mein eigentliches Ziel sein sollte, nämlich der

Aconcagua:
Höhe: 6 952 m
Lage: Argentinien, nahe der chilenischen Grenze
Besonderheit: Höchster Berg der Welt, der nicht im Himalaja liegt (142-höchster Berg der Welt)

Da niemand aus meinem Freundes-/Bekanntenkreis ähnliche Höhengelüste verspürt hat, habe ich mich an einen renommierten Veranstalter aus dem Salzkammergut gewendet, an Laserer-Alpin.

Ich habe dann auch relativ schnell gebucht, meine Überlegung war, dass es interessant wäre, die anderen Menschen, die sich ebenfalls zu einer "zusammengewürfelten" Expedition anmelden, frühzeitig kennen zu lernen und auch die eine oder andere Tour zusammen machen zu können. Diesen Gedanken haben die anderen Teilnehmer offensichtlich aber gar nicht gehabt, auf meine schnelle Kontaktaufnahme gab es zwar zuerst Rückmeldungen, es ist dann aber nicht viel Weiteres passiert. Wer mich ein bisschen kennt, weiß, dass ich dann in solchen Fällen mit einem "wer nicht will, der hat schon" reagiere und ich dann auch nichts weiter unternommen habe.

Einer der Teilnehmer hat die Lage allerdings ähnlich gesehen wie ich, nämlich Werner, ein Polizist aus Graz, wir haben dann zumindest eine gemeinsame Tour gemacht, mehr ist sich leider auch nicht ausgegangen, aber wir sind auch so in Kontakt gestanden, um uns über offene Punkte und Fragen zu verständigen. Und wir zwei waren es schließlich auch, die am weitesten zum Gipfel vordringen haben können.

Grundsätzlich sagt man "hinterher ist man immer klüger", ich glaube aber, dass Werner und ich schon vorher klüger gewesen sind. Und ich habe auch nach wie vor die Idee, dass wir beide die Vorbereitungen ernster genommen haben als der Rest der Gruppe.

Es sind auf dieser Expedition nämlich einige Dinge passiert, die mich doch ziemlich nachdenklich gemacht haben, ich will hier aber niemanden und nichts angreifen und werde die meisten dieser Dinge auch gar nicht beschreiben.

Packen und ab nach Chile

In den Unterlagen, die von Laserer geschickt worden sind, steht zu lesen, dass man 30 kg Gepäck im Flugzeug mitnehmen kann. - "Wird sich ja gut ausgehen...". Leider wird dieser Wert schon bei der ersten Besprechung auf die üblichen 20 kg nach unten korrigiert. - "Könnte doch knapp werden..."

Nach einigen Test-Pack-Vorgängen dann doch die Gewissheit, dass alles, was ich brauchen werde und könnte, unter 20 kg haben wird, die schweren Schuhe muss man sowieso im Flugzeug anziehen...

Und so geht es dann los, Treffpunkt am Wiener Flughafen, dann der Flug nach Madrid, dort stößt auch noch Thomas aus Zürich zur Gruppe, damit sind wir vollzählig und los geht es Richtung Südamerika, wo wir dann ca. 13 Stunden später ankommen und dort am Flughafen auch schon erwartet werden von Jorge ("You can call me George, if Jorge is too hard for you..."), unserem lokalen Hilfsbergführer.

Wir werden dann mit einem kleinen Bus nach Santiago de Chile und dort zu einen Hotel gebracht, wo Zimmer für uns reserviert sind und wohin wir im Lauf der nächsten drei Wochen noch zweimal zurückkommen werden.

Am Nachmittag sind wir dann im Zentrum unterwegs, die Vorwarnung von Jorge, gut auf unsere Geldtaschen aufzupassen, ist nicht ganz nachvollziehbar, die Innenstadt gleicht eher einer der europäischen Hauptstädte, der übliche Einheitsbrei an Geschäften, wie man sie inzwischen überall findet (H&M, Douglas, Zara,...), und die (sehr zahlreichen) Menschen, die auf den Straßen herumeilen, scheinen eher Banker und Yuppies zu sein, die wohl einer österreichischen Bergsteigertruppe nicht ans Geld wollen.

Außerhalb des Zentrums wird sich wohl ein anderes Leben abspielen, in Santiago de Chile wohnen inzwischen ca. 6 Millionen Menschen, also ca. ein Drittel der Gesamtbevölkerung von Chile, dass das natürlich nicht alles Banker sein werden, ist leicht vorstellbar.

Für meine Wahrnehmung ist das Zusammenfallen der Vorweihnachtszeit mit dem Beginn des Hochsommers sehr bemerkenswert, relativ schnell gewöhnt man sich dann allerdings doch an den Look "kurze Sommerkleidung und Weihnachtskitsch", hier besonders hervorzuheben der - offensichlich von Coka-Cola gesponserte - Weihnachtsbaum am Hauptplatz von Santiago:

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Hinweis: die kleinen Bilder lassen sich durch Anklicken vergrößern, nur wenn es nähere Beschreibungen zum Bild gibt, habe ich gleich die große Version eingebunden.

Zur Milderung der kommenden Entbehrungen gehen wir noch in ein Steaklokal, die beachtlichen Fleischmengen, die uns dort aufgetragen werden, lassen einerseits das Herz eines Fleischtigers hochschlagen, andererseits einem Vegetarier wohl die Haare zu Berge stehen.

Am Morgen des nächsten Tages holt uns dann wieder ein kleiner Bus ab, um uns zum ersten Teil unserer Expedition zu bringen, zur Akklimatisierung im Gebiet des

Cerro El Plomo

Schon in Santiago erkennt man durch die starke Smogschicht hindurch Richtung Osten einen sehr hohen schneebedeckten Berg. Nach und nach wird der dichte Verkehr der chilenischen Hauptstadt weniger, dafür wird die Natur mehr, der Berg rückt näher und nach zwei Stunden Fahrt heißt es im kleinen Ort La Parva bei einem von außen eher unscheinbaren Hotel für uns aussteigen und ausladen.

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Zur Überraschung aller ist der Plan, heute noch in diesem Hotel mit dem Namen "Posada Farellones" zu übernachten und dann erst nächsten Tag loszugehen. Eigentlich brennen alle schon auf Bewegung, die sehr liebevoll und großzügig eingerichteten Zimmer lassen aber schnell ein "Ok, dann schlafen wir eben heute nocheinmal im Hotel und nicht im Zelt..."-Gefühl aufkommen - und auch das wirklich Hauben-verdächtige Abendessen bestätigt dieses.

Um trotzdem ein bisschen Bewegung zu haben, machen wir einen längeren Spaziergang, um uns die Gegend anzusehen. In der hier schon wenig bewachsenen Natur wurden in den 70er-Jahren hässliche Satellitendörfer angelegt und Schilifte gebaut, jetzt im Sommer ist es schwer vorstellbar, wie es hier im Winter aussieht, Schnee dürfte es wegen der Höhe von ~2 700 m schon genug geben, allerdings sehen die Hänge steil - und lawinengefährlich - aus:

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Beim anschließenden Faulenzen ergibt sich nun auch die gute Gelegenheit für ein erstes, gemeinsames Gruppenfoto:

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Die Expeditionsteilnehmer:

Ganz vorne sitzend: Michi - Bergführer und Expeditionsleiter

Sitzend: Robert, Thomas, Gerhard, Arpad

Stehend: Dietmar, Werner, Michael, Renate

Der Hund ist Chilene.

Am nächsten Tag - es ist inzwischen der 24. 11. 2007 - beginnt es nun also, das, warum wir eigentlich hergekommen sind: das Gehen

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Unser Gepäck haben inzwischen Mulis übernommen, wir tragen nur unsere Tagesrucksäcke mit etwas Verpflegung, Wasser, Überjacken und Fotoausrüstung.

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Mit zunehmender Höhe wird die Gegend schnell noch karger, es gibt hier nur mehr vereinzelte Büschel von hartem Gras, Tiere sieht man inzwischen auch gar keine mehr.

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Auf dem Sattel auf ca. 3 500 m in der Nähe eines kleinen See machen wir eine erste Rast, hier sind auch noch vereinzelte andere Wanderer, die vom Dorf zum See aufgestiegen sind, anzutreffen.

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Nach der Rast ist der Vorschlag von Michi, zwecks Akklimatisierung noch auf den Gipfel - gleichnamig zum am Fuße liegenden Dorf - La Parva, der vom Sattel aus ca. 300 m höher liegt, zu gehen. Dieser - mit immerhin 3 750 m nur knapp niedriger als der höchste Berg Österreichs - wird damit zu meinem ersten Andengipfel.

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Von hier sieht man sehr schön hinunter ins Dorf, das wir inzwischen schon fast 1 000 m unter uns gelassen haben.

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Nach dem kurzen Abstieg führt der Weg dann weiter durch leichtes, eher monotones Gelände, umso prachtvoller sind allerdings das Wetter und die Aussicht:

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Der Blick zurück zeigt in der Mitte den Sattel, wo wir Pause gemacht haben und rechts davon den knapp 3 800 m hohen La Parva.

In einem kleinen Nebental kommen uns die Mulis mit ihren Treibern entgegen, sie haben unser Gepäck weit hinein ins nächste Tal gebracht und sind schon wieder am Rückweg, uns stehen noch einige Gehstunden bevor.

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Ansonsten trifft man unterwegs nur ganz vereinzelt auf pflanzliche oder tierische Lebewesen, die, die man trifft, sind allerdings umso interessanter:

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Nach einer doch eher längeren Tagesetappe erreichen wir einen kleinen, klaren See, hier liegt auch schon unser Gepäck bereit, jetzt müssen erst unsere kleinen Schlafzelte und das größere Esszelt aufgebaut werden.

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Außer unserer Gruppe (also wir acht Österreicher, ein Schweizer, Jorge, und Williams, unser Koch, der uns ab hier die nächste Zeit lukullisch versorgen wird), ist sonst niemand in diesem unteren Lager. Deswegen kommen hier die ersten, "richtigen" Expeditionsgefühle auf: in traumhafter Landschft, inmitten hoher Berge zu sein, weitab der Zivilisation.

Am Abend verbringen wir noch ein bisschen gemeinsame Zeit im Esszelt, aber es ziehen sich dann alle bald zurück in die Zwei-Mann-Zelte, wo ich dann eine angenehme Nacht verbringe. Es ist hier - auf einer Höhe von ca. 3 500 m noch nicht sonderlich kalt.

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Am nächsten Morgen ist wieder herrliches Wetter, nur ein bisschen Morgennebel verdeckt noch die ganze Aussicht auf den Cerro Plomo.

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Nach dem Frühstück machen wir heute unsere erste Akklimatisationstour zum El Plomo-Basislager auf 4 200 m.

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Blick aus dem unteren Lager zum Cerro El Plomo.

Das Gelände ist gestuft, des Gehen fällt aber nicht schwer, lediglich die letzten 200 m werden ziemlich steil. Nach einer kurzen Rast am Etappenziel, dem Basislager, gehen wir dann wieder zurück ins untere Lager. Dort gibt es als Abendessen vier verschiedene Salate, Tortillas mit Reis und anschließend Fruchtsalat. Der Kommentar von Michi dazu: "...fast besser wie daheim."

Am nächsten Morgen bauen wir das untere Lager ab, verpacken alles und unser Gepäck wird dann von Mulis ins Basislager weitertransportiert. Diese haben heute einen weiten Weg zu gehen, da sie zuerst aus dem Dorf hierher, anschließend ins Basislager und dann den gesamten Weg wieder zurückgehen werden.

Wir brechen gegen 10:00 auf, Michael geht von hier aus zurück nach La Parva, ihm ist es schon die ganze Zeit nicht gut gegangen und ein weiterer Aufstieg ins Basislager würde seiner Befindlichkeit auch nicht zuträglich sein, wir machen aus, dass wir ihn in Santiago wieder treffen, was dann allerdings nicht stattfindet, da er die Expedition abbricht und zurück nach Österreich fliegt.

Nach 3,5 Stunden kommen wir im Basislager an, dort haben Werner und ich kleinere Probleme beim Aufbau unseres Zelts, irgendwie passen die Stangen nicht oder sind zu sehr verbogen, als wir es schließlich doch hinbekommen, steht es eher "schrems", wir hoffen auch, dass es keinen großen Sturm geben wird... Auch der Aufbau vom Esszelt verläuft nicht reibungsfrei, wir helfen dann aber zusammen und schließlich haben wir uns dann alle eingerichtet.

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Auch hier im Basislager sind wir die einzige Gruppe, der Gletscher ist nur 50 m entfernt und wir können Schmelzwasser direkt von dort holen und sparen uns so viel Arbeit, weil wir keinen Schnee schmelzen - sondern nur das Wasser hertragen - müssen.

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Am Nachmittag wird das Wetter dann deutlich schlechter, dunkle Wolken und Nebel ziehen herauf und ein bisschen kommt schon die Befürchtung auf, dass es regnen wird.

Gegen 20:00 ist es dann aber wieder klar und die Stimmung hebt sich dadurch schnell. Nach dem Abendessen gehe ich 20:30 ins Zelt - dort hat es jetzt 3 Grad, also weiterhin kein Problem, eher fast im Gegenteil: unsere Schlafsäcke sind auf deutlich niedrigere Temparaturen ausgelegt, so muss man dann nur in kurzer Unterwäsche schlafen, um nicht zu schwitzen.

Am nächsten Morgen machen wir eine weitere Akklimatisierungstour auf die Leonora (5 050 m). Gleich hinterm Lager beginnt der steile Weg und nach ca. einer Stunde im schroffen Gelände müssen wir dann für ca. 60 Höhenmeter erstmals die Steigeisen anlegen, um ein 30 Grad Schneefeld zu überwinden. Dann beginnt eine "elendigliche", steile Schotterhalde, die uns nach gut 400 Höhenmetern und anschließender kurzer Kletterei zum Gipfel führt.

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Vom Gipfel hat man einen tollen Ausblick in alle Richtungen und von hier kann man dann erstmals in ungefähr 100 km Entfernung den Aconcagua sehen (das Bild ist mit starkem Zoom gemacht, daher sieht er hier deutlich näher aus). Was aber gut zu sehen ist: der Aconcagua ist deutlich höher als die umliegenden Berge - nämlich um ca. 2 000 m!

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Was beim Aufstieg sehr mühevoll war und Stunden gekostet hat, geht beim Abstieg sehr schnell und quasi in wenigen Minuten: über den groben Schotter kann man förmlich hinunterlaufen, 500 Höhenmeter sind in einer halben Stunde zurückgelegt.

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Beim Runtergehen erkennt man auch sehr gut den Weg, der uns am nächsten Tag auf den El Plomo führen wird:

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An der Stelle (1) gab es früher ein Zwischenlager mit kleinen Holzhütten, diese sind inzwischen aber verfallen. Bei (2) befindet man sich genau auf 5 100 m, dort geht es dann weiter über den Gletscher.

Wir stehen um 4:00 auf, es ist wieder sternenklar, keine einzige Wolke ist zu sehen, um 5:00 gehen wir weg, Gerhard ist es in der Nacht nicht gut gegangen, er bleibt im Lager zurück.

Das Tempo, das Michi geht, ist sehr gut, nur Arpad ist es zu schnell, er kehrt nach 200 Höhenmetern um.

Auch hier geht man die ganze Zeit in schottrigem Gelände und auch hier wird es zunehmend steiler, Renate muss schließlich nach 600 Höhenmetern ebenfalls umkehren, Jorge geht mit ihr zurück ins Basislager. Unsere Gruppe besteht also inzwischen nur mehr aus fünf Teilnehmern

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Relativ mühsam geht es hinauf auf 5 100 m, dort erreichen wir den Gletscher und die nächsten 250 Höhenmeter geht es dann nur mit Steigeisen weiter.

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Perfekte Bedingungen, kalt zwar, keine Wolke, festes Eis, gute Verfassung: "... darum macht man so etwas, da sind die letzten drei Stunden im Schotter schnell vergessen..."

Ganz oben ist der Schnee wieder weg, und nach ca. 15 Minuten (und einer kurzen Verwirrung, da der Felskopf, den man von den unteren Lagern aus sieht, gar nicht der Gipfel ist, sondern sich dieser weiter hinten befindet), stehen wir nach 4,5 Stunden am Gipfel des Cerro El Plomo auf 5 430 m.

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Es weht ein scharfer Wind,

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aber ansonsten ist das Wetter perfekt und es bietet sich wieder eine traumhafte Aussicht in alle Himmelsrichtungen.

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Beim Runtergehen brauchen wir noch einmal kurz die Steigeisen, um über den Gletscher zu kommen und dann geht es im Laufschritt durch den Schotter zurück ins Basislager.

Gerhard ist inzwischen schon zurück nach La Parva gegangen, wir werden ihn am nächsten Tag im Hotel wiedertreffen, er hat sich allerdings eine Knieverletzung zugezogen und auch für ihn ist die Expedition an dieser Stelle zu Ende.

Wir übernachten noch einmal im Basislager, dieses bauen wir am nächsten Tag ab, die Mulis kommen wieder, um das Gepäck zu holen und wir gehen den relativ weiten weg zurück ins Dorf.

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Von dort fahren wir mit einem kleinen Bus zurück nach Santiago, wir können wieder duschen, am Abend gönnen wir uns wieder ein Steak und dazu ein Glas chilenischen Weins.

Wenn zu diesem Zeitpunkt jemand gesagt hätte: "hier also endet nun unsere Expedition, wir haben einen schönen Gipfel gemacht und nun geht es wieder heim" - so hätten wahrscheinlich alle zugestimmt, hier in Santiago gab es jetzt eine richtige Endstimmung und die Luft ist fast völlig draußen.

Allerdings ist es natürlich hier nicht aus. Schnell ist auch die Motivation wieder da.

Am nächsten Tag überstellen wir nach Argentinien, gegen 13:00 werden wir zum Flughafen geführt, dort muss man, da es sich um einen internationalen Flug handelt, zwei Stunden früher eintreffen und es wird insgesamt eine sehr lange Wartezeit für den dann anschließenden 35 Minuten (!) Flug nach Mendoza. Dort angekommen, werden wir abgeholt, und nach einer weiteren Fahrtstunde kommen wir in unserem Hotel an.

Heiß ist es hier in Mendoza - Sommer argentinischer eben - und am Abend werden wir von der Agentur zu einem gemeinsamen Essen eingeladen, es gibt u. a. Riesensteaks.

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Am nächsten Tag in der Früh müssen die Permits bestätigt werden, eine Stunde nimmt dies ca. in Anspruch und jedem Teilnehmer muss das persönlich machen - der Hauptgrund dafür ist wohl, dass so die Stadt Mendoza ein bisschen von den Bergsteigern und Trekkern mitnaschen kann.

Cerro Aconcagua

Gegen 10:00 holt uns ein Bus ab und wir machen uns auf die längere Fahrt, zuerst durch eine weitläufige, eher flache Gegend, dann zunehmend durchs Gebirge. Nach ca. vier Stunden erreichen wir das Dorf Penitentes auf einem Pass, dort steigen wir in Jeeps um und werden von diesen zum Eingang des Aconcagua-Nationalparks gebracht.

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Im Zelt finden wir den Ranger, ihm müssen wir die Permits vorweisen, und hier beginnt der ca. 35 km lange Weg zum Basislager. Und dieser wird gleich zu Beginn von einem spektakulären Blick in die Südwand des Aconcagua begleitet:

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Unser Gepäck wird wieder auf Mulis geladen, und wir machen uns auf den heutigen - kurzen - Weg ins Lager Confluenca, das wir schon nach ca. zwei Stunden erreichen.

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Das Lager ist eine Ansammlung von fix-montierten Zelten und den kleinen Zelten der Bergsteiger. Auch wir stellen für diese Nacht unsere Zelte auf, auch unser großes, halbkugelförmiges Esszelt, dieses bleibt nun für den Rest des Sommers hier in diesem Lager.

Am nächsten Tag machen wir dann den Aufstieg ins Lager "Plaza de Mulas", dem Basislager für Aconcaguaexpeditionen. Es geht zuerst durch kupiertes Gelände, anschließend durch ein breites, schier endloses Flussbett ohne viel Steigung. Vereinzelt kommen uns Mulikarawanen entgegen oder wir werden von ihnen überholt, sie sind die einzige Möglichkeit der Versorgung des Basislagers.

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Die Vegetation wird wieder karger, dafür ist das, was man sieht, ungewöhnlicher und beeindruckender:

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Hin und wieder stößt man auch auf Kadaver von Mulis, manchmal bieten sich ziemlich bizarre Anblicke:

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Das Flussbett wir dann grober und schmäler, der Weg beginnt nun, deutlich anzusteigen und wir überqueren erste Büßereisfelder:

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Büßereisfelder (Snow Penitents): teilweise sehr hohe, harte Eispyramiden in tropischen und subtropischen Hochgebirgen; diese stellen (meist - nur für Werner wie hier abgebildet - nicht) unüberwindliche Hindernisse dar, die weit umgangen werden müssen und kommen in dieser Gegend häufig vor.

Und nach ca. 6,5 Stunden sehr flotten und anstrengende Marsches erreichen wir schließlich das Basislager "Plaza de Mulas" auf 4 260 m, beim Eingang zeigen wir die Permits vor und anschließend bauen wir die Zelt auf, diesmal werden wir sie 11 Tage lang brauchen. Im Basislager hat offensichtlich jeder der Veranstalter seine für ihn reservierten Teile, denen, wegen des sehr groben Schotters, mühsam Plätze für die Zelte, abgewonnen worden sind.

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Im Basislager sind im Sommer durchgehend Leute der Veranstalter vor Ort, deswegen steht hier auch deutlich mehr Ausrüstung und Inventar wie z.B. Sessel zur Verfügung. Unsere Betreuermannschaft hat sich um eine Frau erweitert, die drei Monate hier bleiben wird.

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Das Basislager ist insgesamt eine kleine Welt für sich und so, wie ich es mir durch diverse Berichte über diese Lager in Büchern vorgestellt habe: ein Zelt preist "Wine, beer, coke" an, ein anderer Zelt bietet Internetzugang über Satellit (um 1US$/Minute - habe ich probiert, 15$ für eine Mini-Mail sind da gleich weg), in anderen Zelten gibt es die - von mir nicht genutzte Möglichkeit, warme Duschen zu nehmen, und auch die Leute stellen einen bunten Querschnitt der Menschheit dar, vom Hippie bis zum High-Tech-Alpinisten - insgesamt eine richtige Subkultur.

Der Aconcagua selbst sieht von dieser Seite aus nicht mehr so gefährlich aus, die Nordseite zeigt sich fast ohne Schnee (wir sind ja auf der Südhalbkugel) und der Berg sieht auch nicht sonderlich hoch aus, was aber eine offensichtliche Täuschung ist, da der Gipfel vom Standpunkt aus noch 2 700 m - mehr, als bei uns die meisten Berge hoch sind - weiter oben liegt.

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Nach den Anstrengungen des Anmarsches und dem Zeltaufbau gibt es eine kleine Siesta

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und anschließend ein Essen im neuen Esszelt.

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Wir bauen auch noch ein kleines Kochzelt auf, was sich im Nachhinein eigentlich als schade erwiesen hat, da unser Koch Williams, der immer zu Späßen aufgelegt war, sich anschließend fast ausschließlich dort aufgehalten hat.

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Um einen besseren Überblick über das Lager zu bekommen, steige ich ungefähr 50 m weiter hinauf:

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Aconcagua Basislager "Plaza de Mulas"

Im Basislager selbst gibt es einige Toiletten: es werden Fässer eingegraben und dann eine Aluhütte darüber gestellt, an sich Marke "Plumpsklo", allerdings durch die Kälte geruchsfrei. Wenn die Fässer voll sind, wird Benzin darüber gegossen und der Inhalt verbrannt.

Etwas oberhalb vom Basislager hat man einen sehr guten Blick auf den weiteren Wegverlauf bzw. zu den Standorten der Hochlager:

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Aconcagua Hochlager

1 Plaza canada (4 900 m)

2 Nido de Condores (5 400 m)

3 Refugio Berlin (6 000 m)

4 Refugio Independencia (6 400 m)

5 Gipfel (6 962 m)

Wir legen uns folgenden Plan für den ersten Gipfelversuch zurecht:

In der Nacht ist es sehr stürmisch, in der Früh ist dann zwar wieder schönes Wetter, aber es deutet sich schon an, dass es nicht die ganze Zeit über halten wird. Wir tragen einen Teil unserer Ausrüstung ins Lager Nido, wir gehen ein gutes Tempo, ab ca. 5 300 m wird es etwas mühsam.

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Das Lager Nido de Condores ist eigentlich weniger ein Lager als eher ein Platz mit einer Tafel :-)

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Arpad geht es hier oben nicht sonderlich gut, ich begleite ihn gleich nach der Ankunft im Lager wieder hinunter, unter ca. 5 000 m bessert sich sein Zustand aber, die Expedition ist an dieser Stelle für ihn aus, er verlässt unsere Gruppe am nächsten Tag.

Das Wetter am Nachmittag ist deutlich schlechter, es ist unklar, wie es werden wird. Und viel kühler ist es auch...

Am nächsten Tag ist das Wetter soweit doch in Ordnung, Michi weckt uns gegen 06:00 und ca. zwei Stunden später machen wir uns wieder auf den Weg. Der neuerliche Aufstieg zum Lager Nido ist etwas mühsamer als am Vortrag, oben angekommen nehmen wir dann die deponierte Ausrüstung auf, der Rucksack ist jetzt deutlich schwerer - wohl um die 15 kg, die man in dieser Höhe deutlich spürt. Vor allem Renate ist dem nicht gewachsen und nach ca. 150 HM bricht ihre Kraft völlig ein, alle zusammen gehen wir zurück ins Lager Nido de Condores, dort wird einige Zeit beratschlagt, wie es weiter gehen soll. Das Ergebnis ist schließlich, dass Jorge zusammen mit Renate zurück ins Basislager geht und dann wieder herauf kommt. Und wir machen uns ein zweites Mal auf den beschwerlichen Weg ins Refugio Berlin, der Rucksack drückt ziemlich ...

Bei der Ankunft im Lager gibt es die positive Überraschung, dass die kleine Hütte leer ist und wir es uns sparen können, die Zelte aufzubauen.

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Alle sind müde, trotzdem beginnen wir, Wasser zu schmelzen, allerdings geht das nur mühsam von statten und wir bekommen nicht genug zusammen. Gegen 9:00 legen wir uns in die Schlafsäcke, draußen ist es bitter kalt und es bläst starker Wind.

Kurz nach Mitternacht weckt uns Michi, alle machen sich bereit und ziehen sich an. Plötzlich dann die Mitteilung, dass Jorge keine Daunenjacke dabei hat und dass eigentlich zu viel Wind geht. Wir sollen uns wieder etwas hinlegen...

Dann geschieht nicht mehr viel, in der Früh um 7 wird neu beratschlagt, Michi hat starke Kopfschmerzen (zweifelsfrei eine Nachwirkung des zu geringen Wasserkonsums am Vortag). Robert und Thomas wollen gehen, ich sage, ich gehe nicht, ohne Führer macht es für mich keinen Sinn. Draußen hat es minus 25 Grad und weiterhin sehr starken Wind.

Letztendlich gehen wir alle zurück ins Basislager, der Plan ist, nach zumindest einem Ruhetag einen weiteren Versuch zu starten.

Am nächsten Tag in der Früh ist das Wetter wieder sehr schön, wie inzwischen schon einige Male beobachtet, geht die Sonne um exakt neun Uhr hinterm Aconcagua auf und man merkt innerhalb von ein paar Sekunden, dass es dann um ein paar Grad wärmer ist.

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Doch bald schon bilden sich Wolken genau überm Gipfel, schnell wird klar, dass es sich da um den Viento blanco handelt, einem gefürchteten Wind - eigentlich Sturm, der mit bis zu 150km/h im Gipfelbereich weht (durch seine Höhe zieht der Berg sozusagen Luft vom nicht weit entfernten Meer an).

Jedenfalls sind wir sehr froh, dass wir im Basislager sind und uns dieses unglaubliche Schauspiel aus guter Entfernung ansehen können.

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Da die Zeit inzwischen schon fortgeschritten ist, ist der neue Plan von Michi, vom Basislager mit leichtem Gepäck die 2600 HM direkt bis zum Gipfel (und dann wieder herunter) zu gehen. Ich halte diese Idee nicht für besonders gut, ich frage die anderen, wer jemals irgendwo 2600 HM gegangen ist und ergänze, dass ich einmal an einem Tag in Slowenien auf den Triglav und wieder hinunter gegangen bin, 2 000 HM, eine Gewalttour, und auch um 4 000 m tiefer gelegen als hier. Die anderen teilen meine Skepsis aber nicht und sind zuversichtlich, dass das wohl funktionieren wird.

Nach zwei Ruhetagen im Basislager starten wir also am 9.12. unseren zweiten Gipfelversuch:

Um 23:45 stehen wir auf und eine knappe Stunde später machen wir uns auf den Weg. Ein toller Blick auf das bekannteste Sternenbild der südlichen Hemisphäre, dem "Kreuz des Südens", macht mir gute Laune.

Renate geht ebenfalls mit, sie will am Anfang auch dabei sein, aber höchstens bis ins Lager Nido de Condores mitgehen. Robert hat von Anfang an Probleme, und es ist bald klar, dass auch er nicht weiter wie zum Nido de Condores mitgehen wird können.

Dort ist es kalt, sehr kalt, Michi, Werner, Thomas und ich machen nur eine kurze Rast, da uns noch sehr viele Höhenmeter bevorstehen, wir gehen davon aus, dass Jorge natürlich nachkommen wird.

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Im Refugio Berlin gelingt Michi mit einem Funkgerät eine Kontaktaufnahme mit Jorge, diese ist allerdings mit den anderen zurück ins Basislager gegangen, was natürlich nicht unserer Vorstellung entspricht, Renate und Robert hätten den Weg, der nicht zu verfehlen ist (es war auch schon hell), leicht alleine zurücklegen können - Jorge hatte einfach keine Lust!

Der Sinn eines zweiten (Hilfs-)Bergführers ist grundsätzlich der - und wir sind eben davon ausgegangen, dass Jorge deswegen mitgeht - dass er, wenn es jemandem in der Gruppe schlecht geht, mit diesem umkehren und der Rest der Gruppe weitergehen kann.

Und so kommt es dann, wie es kommen musste: Thomas bekommt auf ca. 6 100 m merkliche Anzeichen von Höhenkrankheit und es bleibt nichts anderes übrig, als dass Michi mit ihm umkehrt.

So sind wir also nur mehr zwei: Werner und ich. Wir beschließen weiterzugehen. Letztendlich ist es schwer, den langsamen Schritt ohne Bergführer zu gehen. Auf 6 300 m, kurz unterhalb vom Lager Independencia, treffen wir, auch in Bezug auf den immer stärker werdenden Wind und dem Wissen, dass wir von hier noch 2 000 HM absteigen müssen, die schwere, aber sicher richtige Entscheidung: hier endet die Besteigung auch für uns.

Ein paar Fotos, ein paar Steine als Andenken, und ohne viele Worte machen wir uns auf den weiten Rückweg.

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Unser Höhepunkt auf 6 300 m.

Beim Refugio Berlin treffen wir auf Michi, er sagt uns, dass es Thomas beim Absteigen bald besser gegangen ist; Michi wollte hier auf uns warten bzw. uns dann wieder nachgehen; er ist sichtlich erleichtert, dass wir umgekehrt sind. Zusammen gehen wir zurück ins Nido de Condores, nehmen dort die restlichen Sachen mit und mit den schweren Rucksäcken steigen wir ab ins Basislager.

Das war es dann, ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass ich jetzt nicht enttäuscht bin.

Der Rest: am nächsten Tag bauen wir unsere Zelte ab, unser Gepäck wird wieder von Mulis abgeholt, wir gehen den langen - 35km - Weg zurück in die Zivilisation.

Dort übernachten wir in einem Hotel, die erste Dusche nach fast zwei Wochen ist sehr fein, das erste Bier schmeckt auch sehr gut, die Stimmung ist wieder besser.

Nächsten Tag werden wir abgeholt, diesmal fahren wir mit dem Bus zurück nach Santiago, eine sehr lange - inzwischen für uns Europäer sehr ungewöhnliche - Grenzübergabe zwischen Chile und Argentinien gilt es zu bestehen, dann eine lange Fahrt über eine abenteuerliche Straße zurück in bewohntere Gegenden, es wird wieder Sommer - recht heiß und schließlich erreichen wir die Hauptstadt, übernachten noch einmal im Hotel und fliegen nächsten Tag zurück nach Europa.

Was bleibt?

Die einfach Antwort ist: viel!

Die längere Antwort:

Graz im Februar 2008